An(ge)dacht


Je nachdem welches Wort ich in diesem Satz betone, gehen meine Gedanken in unterschiedliche Richtungen. Jetzt ist die Zeit. Welche Zeit?, frage ich mich. Zeit, um was zu tun? Ich sitze an meinem Schreibtisch und es ist Ende März, Frühlingsanfang: Zeit aufzuatmen und sich zu freuen über einen strahlend blauen Himmel und das Erwachen der Natur. Doch es ist auch Zeit, mir Gedanken zu machen über die Andacht für den kommenden Gemeindebrief für die Monate Mai-Juli. Da sind auch schon Sommerferien, ist also für viele Urlaubszeit, Zeit für Erholung oder zum Reisen. 

Alle Zeit ist immer auch durch äußere Gegebenheiten bestimmt und folgt einem besonderen Rhythmus: dem Wechsel der Jahreszeiten, dem Wechsel von Tag und Nacht oder von Arbeit und Ausruhen. 

Seit vergangenem Jahr ist die Rede von einer „Zeitenwende“. Vermutlich werden die meisten von uns es auch so ähnlich empfinden und würden vielleicht  sagen, dass wir besondere Zeiten erleben seit Corona und v.a. durch den Krieg in Europa. Der russische Überfall auf die Ukraine vor mehr als einem Jahr hat vieles verändert und unser gesellschaftliches Leben vor große Herausforderungen gestellt. Wir erleben eine Zeit der Verunsicherung, weil manches in Frage gestellt wurde, was einmal verlässlich und selbstverständlich schien.

Jetzt ist die Zeit. Betone ich das erste Wort im Satz, dann bringt mich das auf eine andere Spur: Nur selten gelingt es uns, ganz mit der Aufmerksamkeit in der Gegenwart zu sein. Oft werden wir durch irgendetwas abgelenkt, schweifen ab in die Vergangenheit oder sind in Gedanken weit entfernt.  Vielleicht träumen wir von besseren Zeiten oder wir starren ängstlich auf düstere Aussichten, die wir befürchten. Beides lähmt und hindert uns am „Jetzt“. Jetzt ist die Zeit! Das können wir auch als  Appell hören, der uns aus Trägheit oder Resignation rufen will. Jetzt und nicht erst morgen, wenn es vielleicht schon zu spät ist, jetzt ist es allerhöchste Zeit, um nicht die letzte Chance zu verpassen. Ein solcher Ruf der jungen Generation wird heute immer lauter, denn wir haben tatsächlich keine Zeit mehr zu verlieren, wenn wir eine weltweite Klimakatastrophe noch abwenden wollen. 

Dies alles kommt mir in den Sinn bei dem Satz „Jetzt ist die Zeit“, der Losung für den diesjährigen Kirchentag in Nürnberg vom 7.-11. Juni. Gut gewählt finde ich dieses Zitat aus dem Markusevangelium. Es ist Jesu erste Predigt, in der er sagt: „Jetzt ist die Zeit! Das Reich Gottes ist nah. Ändert euer Leben und glaubt an das Evangelium.“

Der Kirchentag war immer schon ein Ort, an dem die großen politischen Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit und nach Bewahrung der Schöpfung ihren Raum hatten. Als Christinnen und Christen leben wir jetzt und in dieser Welt und tragen gemeinsam mit anderen Verantwortung für das Morgen. 

Zugleich ist der Kirchentag immer auch ein Ort, an dem wir durch das Beten, Singen und Feiern in einer großen bunten Gemeinschaft, Stärkung und Ermutigung im Glauben finden können. Für beides soll auch wieder in Nürnberg Zeit sein. In diesem Sinne verstehe ich die beiden Stichworte „Hoffen“ und „Machen“, die in rosa Schrift auf dem Plakat ergänzt sind: Jetzt ist die Zeit, in der wir unserer Hoffnung leben und weitertragen sollen. Denn das braucht unsere Welt. Wir leben hoffnungsvoll aus der Gewissheit, dass all unsere Zeit in Gottes Händen ist. Darum können wir uns auch mutig und beherzt einsetzen für Frieden und Gerechtigkeit und nicht länger abwarten oder aufschieben, was wir jetzt machen können, um den Klimawandel aufzuhalten. Ich wünsche Ihnen in den kommenden Monaten immer wieder Hoffnung und auch Mut zum Handeln, denn jetzt ist die Zeit und sie ist immer auch Gottes Zeit!  

Susanne Gutjahr-Maurer